Westfälisches Teamwork:
Das „Parkinsonnetz Münsterland+“ wird zum Vorbild in Osnabrück
Interview mit Prof. Dr. Tobias Warnecke zum Start des PNO+
Prof. Dr. Tobias Warnecke, Chefarzt der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation Osnabrück, startet ein neues Netzwerk und bringt seine Erfahrungen aus dem Münsterland ein. Das Netzwerk, das er 2017 dort ins Leben gerufen hat, dient ihm 50 Kilometer weiter nun als Vorbild. Zur Gründungsveranstaltung des Parkinsonnetzes Osnabrück+ (PNO+) in der Akademie des Klinikums kamen mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. In einem besonderen Gespräch baten wir Projektleiter Prof. Warnecke nun: „Bitte ergänzen Sie!“
Wenn ich meiner Oma erklären sollte, was ein Parkinsonnetz ist, würde ich ihr sagen, dass …
… es sich dabei um die optimale Versorgung von Parkinsonpatientinnen und -patienten handelt. Denn alle Menschen, die einem Netzwerk helfen – wie Ärzte, Therapeuten, Pflegekräfte, Vertreter von Sanitätshäusern oder Selbsthilfegruppen – arbeiten gezielt und koordiniert zusammen. Durch den Wissens- und Erfahrungsaustausch, die Weiterbildung und Schulung sowie die standardisierte Kommunikation wird die Behandlung verbessert. In der Folge gewinnen die Patientinnen und Patienten an Lebensqualität und -dauer.
Ich engagiere mich in Parkinsonnetzen, weil…
…es großen Spaß macht und mir Freude bereitet, zu sehen, wie die vielen kleinen und großen entwickelten Konzepte im Alltag die Versorgung verbessern.
Die drei größten Herausforderungen in der Parkinson-Versorgung sind für mich…
…erstens, dass die Patientinnen und Patienten die individuelle und spezifisch passende Therapie bekommen, die sie im jeweiligen Stadium ihrer Krankheit brauchen. Dass sie dabei zweitens auf ein Team von Versorgerinnen und Versorgern treffen, das alle gewünschten und notwendigen Therapieangebote bereithält, koordiniert und schließlich zur Verfügung stellen kann. Und drittens, dass dieses Team gemeinsam und auf Augenhöhe die jeweils nächsten Schritte festlegt.
Mein Highlight bei der Auftaktveranstaltung in Osnabrück war…
…das große Interesse, das Engagement und der Enthusiasmus der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es herrscht Aufbruchsstimmung! Zudem fand ich toll, wie offen und transparent auch über die Hürden im Versorgungsalltag gesprochen wurde – besonders in unseren drei Workshops. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass die Probleme nicht auf der persönlichen Ebene, sondern in der Komplexität der Versorgungstruktur liegen.
Besonders bewegt hat mich…
…die Schilderung eines erfolgreichen, bislang unkonventionellen Therapieansatzes: „PingPong Parkinson“ (www.pingpongparkinson.de). Thorsten Boomhuis hat als Betroffener einen gemeinnützigen Verein gegründet, dem sich mittlerweile 700 Aktive an rund 100 Standorten in Deutschland angeschlossen haben. Eher zufällig hat Thorsten vor einigen Jahren entdeckt, dass der Tischtennis-Sport eine vielversprechende Form der Physiotherapie darstellt, die den Patientinnen und Patienten hilft, besser mit der Krankheit klarzukommen. Unabhängig davon konnten japanische Wissenschaftler die positiven Effekte mittlerweile auch empirisch belegen: Ping Pong fördert Motorik, Beweglichkeit sowie das Reaktionsvermögen, und verbessert Gedächtnisleistung, Gleichgewichtssinn und Konzentration. Es war beeindruckend, mit welcher Überzeugung Thorsten dieses außergewöhnliche Projekt vorgestellt hat.
Wenn ich die beiden Auftaktveranstaltungen zum Parkinsonnetz RheinNeckar+ in Heidelberg und zum PNO+ in Osnabrück vergleiche, fällt mir auf, dass…
…trotz der regionalen Unterschiede in der Versorgungsstruktur und Zusammensetzung der Teilnehmer die Motivation bei beiden Events extrem groß war. Dies ist ein weiterer Beleg für den Bedarf an funktionierenden Parkinsonnetzen. Außerdem war auffällig, dass als größte Hürde in Heidelberg wie in Osnabrück die Kommunikation unter den Versorgerinnen und Versorger benannt wurde. Demnach muss auch im PNO+ unsere erste Priorität die Verbesserung der Kommunikation sein. Wir haben das Glück, dass uns das benachbarte Münsterländer Netz als Blaupause dienen kann – demnach müssen wir nicht bei null starten.
Als konkreten Next Step planen wir in Osnabrück…
…bereits das zweite Netzwerk-Treffen. Wie das immer so ist: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Wir haben nun die Hürden und Probleme in der Versorgung identifiziert; beim zweiten Treffen möchten wir thematische Arbeitsgruppen bilden, die Lösungen dafür entwickeln. Übrigens bekommt zum ersten Mal jede Arbeitsgruppe einen Sparringspartner aus einem anderen Netzwerk. Die andernorts gemachten Erfahrungen können nur hilfreich sein.
Um die Kommunikation zu standardisieren und zu steuern, planen wir zudem die Implementierung sogenannter Quickcards. Als physischer Abreißblock oder als digitales Tool beinhalten Quickcards leitliniengerechte, evidenzbasierte Empfehlungen in Bezug auf Diagnostik und Therapie. Sowohl die Versorgerinnen und Versorger als auch die Patientinnen und Patienten können damit zukünftig besser nachvollziehen, was warum behandelt wurde. In Münster haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht und auch in Osnabrück sollten die Quickcards schnellstmöglich im Alltag der Patientinnen und Patienten ankommen.
Mein besonderer Dank gilt…
…allen, die an der Organisation der Auftaktveranstaltung und dem Aufbau des PNO+ beteiligt waren und sind. Neben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Klinikums Osnabrück ist hier vor allem AbbVie als Mitinitiator zu nennen, sowie das Private Institut für angewandte Versorgungsforschung (inav) und die Econum Unternehmensberatung. Danke an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Münsterländer Netzes, die es mit ihrem Einsatz möglich gemacht haben, dass nach diesem Vorbild ein weiteres Netzwerk entsteht. Und last but not least: Vielen Dank an alle Betroffenen, die ihre Ideen einbringen.
Ich wünsche mir für die Zukunft des PNO+…
…dass wir gemeinsam zum Wohl der Patientinnen und Patienten eine dauerhaft funktionierende Versorgungsstruktur aufbauen. Damit erhöhen wir die Qualität der Behandlung und nähern uns einem weiteren Ziel: Dass die Parkinsonnetze in die Regelversorgung übergehen und zukünftig von den Krankenkassen mitfinanziert werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Dr. Warnecke!